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Le camp d’internés 1914-1919
Le camp d’internés 1914-1919

Dieser Internet-Auftritt verfolgt das Ziel, möglichst viele Informationen über das Internierungslager auf der Ile Longue zusammenzustellen, damit Historiker und Nachkommen der Internierten sich ein Bild von den Realitäten dieses bisher wenig bekannten Lagers machen können - nicht zuletzt auch, um die bedeutenden kulturellen Leistungen der Lagerinsassen zu würdigen.

Le but de ce site est de prendre contact avec les familles des prisonniers allemands, autrichiens, hongrois, ottomans, alsaciens-lorrains... qui ont été internés, pendant la Première Guerre mondiale, dans le camp de l’Ile Longue (Finistère).

„Die Insel-Woche“ - das Ende
On-line gesetzt am 25. Juni 2015

von Christophe

Über das Ende der „Insel-Woche“ informiert uns folgende im Deutschen Historischen Museum Berlin gefundene Notiz ohne Datum:

„Durch Verfügung der Präfektur in Quimper ist das weitere Erscheinen unserer Lagerzeitung verboten worden. Wir bedauern diese Entschließung der französischen Behörde. Es sind sofort geeignete Schritte unternommen worden, um die Erlaubnis für eine neue Zeitung zu erwirken. Wir danken unserem zahlreichen Leserkeise für die bisher bewiesene treue Anhänglichkeit. In Erwartung baldiger besserer Zeiten nimmt die “Insel-Woche” hiermit Abschied von den Kameraden.“

Was war passiert?


Im Telegramm des Präfekten des Departements Finistère vom 17. März 1917, in dem der Unterpräfekt in Brest darüber informiert wird, dass dem Internierten Edmund Kowalski die Erlaubnis erteilt wird, „eine neue Wochenschrift [1] herauszugeben“ [2], wird einmal der redaktionelle Rahmen des neuen Blattes festgelegt: „ein kleines wöchentliches Anzeigenblatt, das Theater- und Konzertkritiken, Sportberichte und Werbung enthalten dürfe“ [3]. Gleichzeitig aber weist der der Präfekt den Unterpräfekten darauf hin, dass diese Lagerzeitung zu kontrollieren sei. Er schreibt: „Diese Revue ist vom Übersetzer HAASE zu zensurieren, und zwei Exemplare jeder Nummer sind mir von der Lagerleitung vor der Veröffentlichung zuzustellen.“ [4]

Wie u.a. aus einem Schreiben des Präfekten an den Unter-Präfekten vom 31. Januar 1918 [5] hervorgeht, hat es einen „Service de la Censure“, also einen „Zensurdienst“ gegeben, der, wie zu vermuten ist, der Präfektur zugeordnet und mit der Kontrolle der Korrespondenz sowie anderer ein- und ausgehender Schriften und Bücher zuständig war.. Der Dolmetscher Haase hat also nur die Lagerzeitung zu zensurieren und dürfte damit nicht überlastet gewesen sein. Aus welchem Grund auch immer, Tatsache ist, dass der Unterpräfekt in einem Schreiben an den Präfekten vom 4. März 1918 das „Ungenügen“ [6] der Zensur beanstandet.
In mehreren offiziellen Schreiben der französischen Behörden, vom Unterpräfekten über den Präfekten bis zum Innenminister, ist die Rede von Zeitschriften-Beiträgen (Artikel, Gedichte, Zeichnungen usw.), die als anstößig empfunden werden und schließlich das endgültige Verbot der „Insel-Woche“ begründen.

Hier zunächst die genannten offiziellen Schreiben:

1. Schreiben des Unterpräfekten an den Präfekten vom 4. März 1918

Beanstandung der „Insel-Woche“ Nummer 39 (31.12.1917), Seite 1: Gedicht „Die vergangenen Jahre dem jungen“ von Edmund Kowalski.

Beanstandung der „Insel-Woche“ Nummer 47 (24.2.1918), Seite 2: Zeichnung von Max Pretzfelder und Text (Autor „Z.“, vermutlich Erik Ziese [7]) zum Thema „Einsame Menschen“.

Seite 3: Todesanzeige Adam Stautz.

In demselben Schreiben spricht der Unterpräfekt vom „Ungenügen der Zensur“.

2. Schreiben des Präfekten an den Innenminister vom 13. März 1918:

Der Präfekt hat zwar keine Beanstandung einer bestimmten Nummer der „Insel-Woche“, bringt aber die im Erlaubnisschreiben bestimmten Einschränkungen für die „Insel-Woche“ in Erinnerung und fährt fort: „Aber unversehens hat diese Broschüre eine gewisse Ausdehnung erfahren, indem sie immer mehr und zunehmend genauere Beiträge über die Lagerordnung aufgenommen hat, wie auch Zeichnungen, Gedichte, Berichte, die scheinbar bedeutungslos in Wirklichkeit aber ironisch und böswillig sind.“

3. Schreiben des Innenministeriums an den Präfekten vom 30. März 1918

Aufgrund der Informationen durch den Präfekten gibt das Innenministerium folgende Anweisungen: „Der Redakteur dieses Blattes ist davon in Kenntnis zu setzen, dass die von Ihrem Vorgänger erteilte Erlaubnis aufgehoben wird, wenn sich der Geist, in dem die Artikel verfasst sind, nicht ändert. Für den Fall, dass diese Warnung nicht berücksichtigt wird, werden Sie diese Maßnahme ergreifen.“

4. Schreiben des Unterpräfekten an den Präfekten vom 2. April 1918

Beanstandung des Beitrages „Chronik vom 14. – 21. März“ in Nummer 51 vom 24. März 1918: „In allegorischer Form macht der Chronist verschiedene Äußerungen zu den von den Internierten vorgetragenen Beschwerden bezüglich der Verpflegung und den von der Verwaltung verhängten Disziplinarmaßnahmen.“

5. Schreiben des Unterpräfekten an den Lagerkommandanten vom 8. Mai 1918

Beanstandung der Nr. 2 (2. Jahrgang) vom 14. April 1918, Nr. 3 (2. Jahrgang) vom 21. April 1918 und Nr. 4 vom 27. April 1918. In diesem Schreiben erhält der Lagerkommandant den Auftrag, dem Herausgeber das vom Präfekten beschlossene Verbot der Zeitung mitzuteilen.

Bei der Suche nach einer Erklärung für dieses Verbot stellen sich zwei Fragen:

1. Warum hat der mit der Zensur beauftragte Übersetzer Haase die von ihm beanstandeten Beiträge (Artikel, Zeichnungen u. a.) erst nach deren Veröffentlichung übersetzt und seinen Vorgesetzten (Lagerkommandant, Unterpräfekt, Präfekt) übermittelt?

Er war beauftragt [8], die Zeitung zu zensurieren und „vor der Veröffentlichung“ dem Präfekten zwei Exemplare zuzustellen. Seine Vorgehensweise ist schwer zu verstehen. Zwar hat er erkannt, welche Artikel Anstoß erregen könnten und hat diese auch übersetzt und dem Präfekten zukommen lassen; dies aber erst nach der Veröffentlichung, so dass die Leser die beanstandeten Beiträge ungestört zur Kenntnis nehmen konnten. So angewendet, verfehlt die Zensur ihren eigentlichen Zweck.

Könnte es sein, dass der Übersetzer diese Vorgehensweise gewählt hat, um das Verbot zu provozieren?

2. War das Verbot sachlich begründet?

Indem wir die beanstandeten Texte ebenso wie ihre ablehnende Beurteilung durch die französischen Behörden ins Netz stellen, möchten wir dem Leser die Möglichkeit geben, die folgenden Frage selbst zu beantworten.

  • „Die Insel-Woche“, Nummer 47 (24.2.1918), Seite 1: Enthält das Gedicht mit dem Titel „Die vergangenen Jahre dem jungen“ von Edmund Kowalski wirklich, wie der Unterpräfekt im Schreiben an den Präfekten vom 4. März 1918 glaubt feststellen zu können „praktisch unverhohlene Wünsche für den Erfolg der deutschen Streitkräfte im Jahre 1918“?
  • Seite 2: Kann dem Unterpräfekten zugestimmt werden, wenn er (ebenda) die Zeichnung und den Text zum Thema „Einsame Menschen“ als „eine echte Unverschämtheit“ bezeichnet?
  • Seite 3 (Todesanzeige des Internierten Adam Stautz): Verbirgt sich hinter der Formulierung „Ein schweres, anfangs kaum beachtetes Lungenleiden raffte ihn in wenigen Monaten hinweg“, tatsächlich, wie der Unterpräfekt (ebenda) meint, der Vorwurf, Stautz sei mangels Pflege gestorben? Liegt vielleicht ein Übersetzungsfehler vor? Ist der fragliche Ausdruck „Ein schweres, anfangs kaum beachtetes Lungenleiden“ mit „une maladie de poitrine sérieuse, à laquelle il a été à peine fait attention à l’origine“ (wörtlich: „eine Brustkrankheit, der am Anfang kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden war“) richtig übersetzt? Abgesehen von der allzu freien Wiedergabe des Wortes „Lungenleiden“ durch „maladie de poitrine“ (Brustkrankheit), scheint die Übersetzung auf den ersten Blick richtig zu sein. Festzustellen ist aber, dass die kritische oder vorwurfsvolle Nuance, die in der französischen Version anklingt, im deutschen Original nicht enthalten ist.
  • „Die Insel-Woche“ Nummer 51 (24. März 1918), Seite 3 („Chronik vom 14. – 21. März“): Ist es erklärlich, dass die Äußerungen des Chronisten zu den Beschwerden der Internierten bezüglich der Verpflegung und den von der Verwaltung verhängten Disziplinarmaßnahmen vom Unterpräfekten als anstößig empfunden werden? [9]
  • „Die Insel-Woche“, 2. Jg. Nummer 02 (14. April 1918), Seite 3: In diesem liebevoll witzigen Briefchen an sein „Liebes kleines Mäuschen“ schildert der Verfasser („Dein alter Junge“) tatsächlich in unverkennbar ironischem Ton die Verspätungen im Postverkehr. Kann man jedoch in diesem Zusammenhang, wie es der Unterpräfekt tut, von „malveillance“, also „Böswilligkeit“ sprechen? [10]
  • „Die Insel-Woche“, 2. Jg. Nummer 03 (21. April 1918), Seite 1: Die gleiche „malveillance“ („Böswilligkeit“) sieht der Unterpräfekt in dieser Aktstudie von Leo Primavesi am Werk. Hat er Recht, wenn er [11] sagt, der dargestellt Nackte sehe „wie ein Skelett“ aus?
  • „Die Insel-Woche“, 2. Jg. Nummer 04 (27. April 1918), Seite 4: Im Artikel „Meine Schweizreise“ glaubt der Unterpräfekt [12] „lügenhafte Bemerkungen über die Umstände einer Eisenbahnreise von Brest nach Lyon“ feststellen zu können, ohne diese Behauptung zu belegen. Haben wir nicht allen Grund, dem Verfasser dieses anschaulichen und nur maßvoll kritischen Reiseberichts Glauben zu schenken?

Auch wenn wir bei unserer Einschätzung selbstverständlich bemüht sind, den besonderen Zeitumständen Rechnung zu tragen und versuchen, uns in die Lage der französischen Behörden zu versetzen, ist unser Eindruck, dass die beanstandeten Stellen keinen ernsthaften Grund für ein Verbot der Lagerzeitung „Die Insel-Woche“ bieten. Es sieht so aus, als hätten die Aufsichtsbehörden versucht, das Verbot als legitime Disziplinarmaßnahme erscheinen zu lassen, dass sie in Wirklichkeit aber andere, uns unbekannte Gründe dafür hatten, die Lagerzeitung mundtot zu machen.


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